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OGH: Tageszeitung als (fehlerhaftes) „Produkt“?


06.02.2020

Vorabentscheidungsersuchen zum Produkthaftungsrecht – Tageszeitung als (fehlerhaftes) „Produkt“?

Der Oberste Gerichtshof hat dem Gerichtshof der Europäischen Union mit Entscheidung vom 21.01.2020 (1 Ob 163/19f) gemäß Artikel 267 AEUV eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, die vereinfacht wie folgt lautet: „Ist die Produkthaftungsrichtlinie der Europäischen Union dahingehend auszulegen, dass als (fehlerhaftes) Produkt auch ein körperliches Exemplar einer Tageszeitung anzusehen ist, die einen fachlich unrichtigen Gesundheitstipp enthält, dessen Befolgung einen Schaden an der Gesundheit verursacht?“.

Die Entscheidung über diese Frage hat naturgemäß große Bedeutung vor allem für Zeitungsverlage. Einschlägige Rechtsprechung liegt zu dem Problemkreis nicht vor, deswegen ersuchte der OGH den EuGH um Klärung. Für eine Haftung nach dem Produkthaftungsrecht spricht in diesem Zusammenhang, dass Verbraucher gerade auch auf den Inhalt von Druckwerken vertrauen (und nicht auf die körperliche Darstellung oder „Konstruktion“ einer Zeitung). Gegen eine derartige (verschärfte) Haftung nach produkthaftungsrechtlichen Kriterien spricht vor allem, dass die verschriftlichte Information als solche (der „Zeitungsartikel“) keine körperliche Sache ist.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zu Grunde: In der Regionalausgabe einer Zeitung, unter der Rubrik „Hing´schaut und g'sund g'lebt“ wurde über geriebenen Kren berichtet, und insbesondere angekündigt, dass man diesen verwenden könne, um bei Rheuma auftretende Schmerzen zu verringern; die betroffenen Stellen sollten zunächst mit Schweineschmalz eingerieben, und darauf dann der (geriebene) Kren aufgelegt werden. Die Auflage könne man „durchaus 2 bis 5 Stunden“ belassen, bevor man sie wieder entferne. Die Dauer war falsch: Richtig hätte es „2 bis 5 Minuten“ lauten sollen. Eine Patientin, eine Abonnentin der Zeitung, vertraute auf die Richtigkeit der angeführten Behandlungszeit, und beließ den Verband für etwa 3 Stunden; sie nahm ihn erst ab, als es bereits zu starken Schmerzen gekommen, und (durch die im Kren enthaltenen) scharfen Senföle eine toxische Kettenreaktion eingetreten war. Nach dem Standpunkt der Klägerin war es da bereits zu schweren Verletzungen gekommen.

Sowohl das Erstgericht als auch das Zweitgericht wiesen die – im Wesentlichen auf Schadenersatz in der Höhe von € 4.400.00 gerichtete – Klage ab. Eine Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz ergebe sich zusammengefasst aus den jeweiligen Behauptungen nicht. Der Oberste Gerichtshof beschloss demgegenüber, das Revisionsverfahren auszusetzen, und die Rechtssache dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen.

Begründend führte der OGH aus, dass es strittig wäre, ob oder ob nicht eine Verlegerin oder Medieninhaberin einer Tageszeitung, die die Veröffentlichung eines Artikels veranlasst, nach der Produkthaftungsrichtlinie (Richtlinie 85/374/EWG) und/oder dem Produkthaftungsgesetz für den unrichtigen Inhalt der Zeitung hafte. Auch in der deutschen Literatur würden unterschiedliche Meinungen vertreten; ein Teil der Lehre beschränke die Haftung für Informationsträger auf jene Schäden, die durch deren Körperlichkeit entstehen würden (bspw: giftiger Einband eines Buches), andere würden die Produkthaftung aber auch wegen einer fehlerhaften geistigen Leistung bejahen (als Beispiel hierfür kann ein – allenfalls sogar giftiges – Kochrezept in einem Kochbuch dienen).

Die Antwort auf die Fragestellung ist sehr wesentlich: Eine Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz ist nämlich in der Regel bereits dann zu bejahen, wenn das Produkt an sich „fehlerhaft“ ist, wenn es also „berechtigte Sicherheitserwartungen“ enttäuscht. Damit ist der Begriff der „Fehlerhaftigkeit“ eines Produktes (§ 1 Abs 1 PHG) streng zu unterscheiden vom Begriff der „Mangelhaftigkeit“ des Gewährleistungsrechtes, und wohl auch weiter, da er beispielsweise auch Instruktionsmängel (also fehlerhafte Bauanleitungen) umfasst, und weil es für eine Haftung nach dem PHG nicht relevant ist, ob das Produkt an sich zum bedungenen Gebrauch taugt. Ein produkthaftungsrechtlicher Fehler ist mit dem gewährleistungsrechtlichen Mangel also nicht gleichzusetzen. Die Frage ist aber auch deswegen wesentlich, weil es (zu Gunsten von Verbrauchern, nicht aber zu Gunsten von Unternehmern, die sich in aller Regel nicht auf das PHG berufen können) zu einer verschuldensunabhängigen Haftung kommen kann, weswegen also der Verbraucher in aller Regel günstiger gestellt ist. Auch die Verjährungsfrist (10 Jahre) sowie die Tatsache, dass sich der „Hersteller“ eines Produktes von einem Fehler freibeweisen muss, begünstigt den Konsumenten ganz wesentlich.

Sollte daher der Europäische Gerichtshof die Frage, ob auch eine Tageszeitung als ein „Produkt“ iSd PHG anzusehen ist, bejahen, so hätte dies zur Konsequenz, dass Verbraucher, die durch „fehlerhafte Informationen“ einen Schaden erleiden (man denke nur Anlageempfehlungen, Kochrezepte, Wander- oder Seekarten, Do-it-Yourself-Anleitungen, gesundheitsrelevante Berichterstattung oder ähnliches!) sehr weitgehende Ansprüche an Inhaber von Medien stellen könnten.