Kostenloser Rücktritt bei überhöhter Stornogebühr?
15.11.2021
Die Vereinbarung einer Stornogebühr kann (dies wird oft übersehen) grundsätzlich auch zu Lasten von Konsumenten getroffen werden. § 7 KSchG regelt nur, dass im Falle einer „Angeldvereinbarung“ oder „Reugeldvereinbarung“ ein Mäßigungsrecht gem §1336 Abs 2 ABGB besteht. Der OGH hat bereits mehrmals ausgesprochen, dass sich – um angemessen zu sein und daher nicht aufgrund eines Verstoßes gegen § 879 ABGB als unwirksam angesehen zu werden – eine Konventionalstrafe an dem durchschnittlichen Schaden zu orientieren hat, der nach Schätzung des redlichen Beobachters bei der damit sanktionierten Vertragsverletzung normalerweise eintritt (siehe 4 Ob 113/06f, 4 Ob 99/09a). Mit anderen Worten: Dann, wenn die Konventionalstrafe ungefähr jenem Betrag entspricht, der dem Unternehmer auch tatsächlich in der Regel durch die Vertragsverletzung des Verbrauchers (beispielsweise die Weigerung, die gekaufte Ware auch tatsächlich zu bezahlen) entsteht, soll sie zulässig sein.
Fraglich und nunmehr durch den Europäischem Gerichtshof zu entscheiden, ist aber diesbezüglich das Verhältnis des innerstaatlichen Rechtes zum (europäischen) Konsumentenschutzrecht. Der OGH hat im Verfahren zu 4 Ob 131/21z zu entscheiden, was zu geschehen hat, wenn sich ein Unternehmer auf eine Klausel in seinen AGB beruft, die nach Wahl des Unternehmens die Verpflichtung des Kunden zur Zahlung einer Stornogebühr von 20% des Kaufpreises oder des tatsächlich entstanden Schadens vorsieht, beruft: Streitgegenständlich war der Kauf einer Einbauküche zu einem Preis von € 10.924,70. Der Kunde war zurückgetreten, ohne dazu berechtigt zu sein, das Einrichtungshaus hätte mit dem Verkauf der Küche einen Gewinn von € 5.270,00 erwirtschaftet. Das Einrichtungshaus stützte sich auf die sogenannten „dispositiven Bestimmungen des österreichischen Zivilrechts“, sohin auf allgemeines Schadenersatzrecht, das jedem Mann und jeder Frau offen steht und klagte diesen Betrag ein. Das Erstgericht sprach dem Einrichtungshaus nur 20% des Bruttoverkaufspreises zu (€ 2.184,94) und wies das Mehrbegehren ab. Es war der Ansicht, dass deswegen, weil der begehrte Betrag von € 5.270,60 wesentlich höher war, der Verbraucher nicht erwarten könne, dass der „tatsächlich entstandene Schaden“ (also der entgangene Gewinn) nahezu die Hälfte des vereinbarten Preises betrage, maximal der Nichterfüllungsschaden von 20% des Bruttoverkaufspreises zustünde. Mit anderen Worten: Grundsätzlich wäre die Höhe der Vertragsstrafe zwar missbräuchlich, weil aber der tatsächliche Schaden (den das Einrichtungshaus eingeklagt hatte) noch höher wäre, sei der Anspruch des Einrichtungshauses mit der niedrigeren Vertragsstrafe begrenzt.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil ab – es gab der Klage zur Gänze statt. Dass die Pönale von 20% überhöht und daher missbräuchlich sei, könne nicht zum Wegfall des Schadenersatzanspruches insgesamt führen, das allgemeine Schadenersatzrecht müsse angewendet werden und daher stünde dem Einrichtungshaus der entgangene Gewinn aufgrund des unberechtigten Vertragsrücktritts des Konsumenten zu.
Dagegen erhob der beklagte Konsument eine Revision an das nationale Höchstgericht, den Obersten Gerichtshof („OGH“). Der OGH hat die Frage in seiner vorläufigen Entscheidung offen gelassen und dem Europäischen Gerichtshof („EuGH“) im Rahmen eines „Vorabentscheidungsverfahren“ zur Beantwortung vorgelegt. Er bezog sich auf die Entscheidungen des EuGH vom 27.01.2021 in den Rechtssachen C – 229/19 und C – 289/19, wonach das dispositive Recht zur Gänze außer Anwendung zu bleiben habe, wenn im jeweiligen Vertrag eine missbräuchliche Klausel enthalten sei. Diese Rechtsansicht führe aber dazu, dass der vertragsbrüchige Verbraucher (der unstrittigerweise die Küche bestellt, dann aber nicht mehr übernommen hat) gar keinen Schadenersatz mehr schulde, nicht einmal jenen Schaden ersetzen müsse, den er schuldhaft verursacht habe.
Die Entscheidung des EuGH über diese Vorlagefrage birgt einiges an Sprengstoff, könnte das Ergebnis doch sein, dass bei gröblich benachteiligenden Klauseln in AGBs das Gegenteil dessen erreicht wird, was der Unternehmer will: nicht nur die Unwirksamkeit der Klausel an sich, sondern auch der Verlust von dispositiven Regelungen mit gleichem Regelungsgehalt. Hinzu kommt, dass derartige Klauseln, insofern sie im Anwendungsbereich von Unionsrecht liegen, wohl auch von Amts wegen auf ihre Missbräuchlichkeit zu prüfen sind, weswegen es also auf einen bezugnehmenden Einwand des Verbrauchers gar nicht ankommt. Die Entscheidung des EuGH wird auch insofern von weitreichender Bedeutung sein, als auch im Mietrecht sich ähnliche Fragen stellen. Prader/Weber (ImmoZAK 2021/45) weisen darauf hin, dass diesfalls bei „intransparenten Betriebskostenklauseln jedenfalls im Teilanwendungsbereich des MRG wegen der dispositiven Norm des § 1099 ABGB (die ja die Lasten dem Vermieter auferlegt) keine Betriebskosten zu bezahlen sind“.