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Der untätige Oberarzt


15.12.2021

Mediziner werden immer wieder aufgrund vermuteter Behandlungsfehler in Anspruch genommen. Oftmals gehen derartige Klagen ins Leere (einerseits deswegen, weil die Medizin – ebenso wenig wie die Rechtswissenschaft – keine exakte Wissenschaft ist [also Spielräume bestehen] und andererseits, weil auch der Arzt nur eine ex-ante-Diligenz schuldet [es kann ihm daher nicht zur Last gelegt werden, wenn er es im Nachhinein besser weiß, solange er im Rahmen der Behandlung den Stand der Wissenschaft eingehalten hat]. Weiters ist der Bereich der Arzthaftung deswegen ein gut bestelltes Feld, weil derartige Sachverhalte in aller Regel (bei Vorliegen eines Rechtschutzversicherungsvertrages) von Rechtsschutzversicherungen gedeckt sind, andererseits der beklagte Mediziner in aller Regel über eine Haftpflichtversicherung verfügt, weswegen in aller Regel weiters davon auszugehen ist, dass ein erstrittenes Urteil auch erfüllt werden wird. Schließlich kommt bei arzthaftungsrechtlichen Verfahren hinzu, dass der Patient, der sich schlecht behandelt oder falsch diagnostiziert wähnt, im Rahmen eines Gerichtsverfahrens auch die Möglichkeit hat, seinen Gesundheitszustand nochmals überprüfen zu lassen und allenfalls auch einen Schuldigen zu finden; freilich kommt es gerade auch dann, wenn sich im Gerichtsverfahren herausstellt, dass es keinen Behandlungsfehler gegeben hat, oft zu einer versöhnlichen Lösung der Causa. 

Im Wesentlichen bestehen zwei grobe Fallgruppen: Einerseits die Haftung wegen Behandlungsfehlern (die auch die Diagnosefehler umfassen), andererseits die Haftung aufgrund einer Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht. Die Haftung für Behandlungsfehler ist leicht erklärt: Wenn eine Behandlungsmaßnahme durchgeführt oder eine Diagnose gesetzt wird, die nicht dem Stand der Wissenschaft entspricht (und zwar einerlei, ob dies dem jeweiligen Arzt subjektiv vorwerfbar ist oder nicht) kommt es zu einer Haftung für den dadurch entstandenen Schaden. Der jeweilige Arzt hat eben nicht jene Diagnose gestellt oder jene Behandlung verordnet, die eigentlich gestellt bzw. verordnet hätte werden müssen, und daher haftet er für den dadurch entstandenen Schaden. Die Haftung für Aufklärungsfehler wiederum gründet sich darauf, dass ein Patient eine Behandlungsmaßnahme nicht akzeptiert hätte, hätte er gewusst, dass dieses oder jenes Risiko droht. Die Haftung für Aufklärungspflichtverletzungen ist insofern interessanter, als die Pflicht zu Aufklärung eine frei bewegliche ist, sie hängt von der konkreten Situation, der Dringlichkeit der medizinischen Maßnahme, aber auch des Wunsches des Patienten ab, überhaupt aufgeklärt zu werden (oder allenfalls dem Arzt blind zu vertrauen). 

Eine durchaus rare Spezies ist wiederum die einwilligungslose Behandlung, die nicht mit einer fehlenden Aufklärung in Verbindung steht. Eine Behandlung ohne Einwilligung ist rechtswidrig, und der Arzt haftet selbst dann für nachteilige Folgen, wenn der Eingriff selbst medizinisch indiziert ist und lege artis durchgeführt wurde. Mit anderen Worten: wenn der Patient nicht in die Behandlung eingewilligt hat, haftet der Behandler für alle nachteiligen Folgen, selbst wenn sie unvermeidbar waren, durch korrektes medizinisches Vorgehen verursacht worden sind oder es sich dabei um Komplikationen handelt, die durchaus im Rahmen des Erwartbaren liegen.

Der OGH hatte in diesem Zusammenhang jüngst (7 Ob 124/21t vom 25.09.2021) eine interessante Konstellation zu beurteilen: Der Patient vertraute darauf, vom Oberarzt persönlich operiert zu werden. Der Oberarzt sicherte dem Patienten diese persönliche Tätigkeit auch ausdrücklich zu. Freilich operierte der Oberarzt nicht selbst, sondern beaufsichtigte die Operation nur. Es kam zu nachteiligen Folgen, und der Patient klagte auf Schadenersatz und Feststellung (Gesamtstreitwert € 34.252,40). Das Höchstgericht hielt zunächst fest, dass dem Patienten zwar nicht das Recht zukomme, nur von einem bestimmten Oberarzt operiert zu werden. Wenn aber dem Behandlungsvertrag der Wunsch des Patienten zugrunde lag, nur von einem bestimmten Arzt operiert zu werden, und dieser Arzt dies auch zugesagt habe, so dürfe kein anderer Arzt den Patienten operieren. Wenn, wie im vorliegenden Fall, nicht der Oberarzt, sondern lediglich ein Assistenzarzt (wiewohl unter Aufsicht des Oberarztes!) die Operation vorgenommen hatte, so wäre die Einwilligung auf diese Operation nicht zu erstrecken. Es handle sich um eine rechtswidrige Behandlungsmaßnahme, weswegen die beklagte Krankenanstalt für die nachteiligen Folgen dieser (wie wohl sachgerechten) Operation hafte.