Ansteckung mit Covid-19 – ein einklagbarer Schaden?
18.04.2020
Derzeit kursieren in Medien Berichte über Schadenersatzklagen, die Behörden sowie den Betreibern von Hotels, Bars und anderen Einrichtungen von Personen, die in Tiroler Hotels, Bars und Schigebieten mit SARS-CoV-2 infiziert wurden, drohen würden. Der (Anspruchs-)Grund: Behörden und Betreiber hätten nicht schnell genug auf die Corona-Pandemie reagiert und erforderliche Maßnahmen unterlassen.[1]
Der Schaden, der diesfalls eingeklagt würde, könnte etwa in Schmerzengeldansprüchen der Erkrankten bestehen, wie auch in Verdienstentgang durch die Erkrankung und in entstandenen Behandlungskosten. Für die Durchsetzung jedes Schadenersatzanspruches müssen (vereinfacht gesagt) nach allgemeinen Grundsätzen ein Schaden, ein rechtswidriges und schuldhaftes Handeln oder Unterlassen beim Schädiger, und eine Kausalität dieses Verhaltens für den eingetretenen Schaden vorliegen (und in der Regel vom Geschädigten bewiesen werden).
Ist die gerichtliche Durchsetzung solcher Ansprüche wegen einer Covid-19-Erkrankung tatsächlich realistisch?
I. Haftung von Hoteliers und Gastwirten
Grundsätzlich umfasst jeder Vertrag auch bestimmte Schutz- und Sorgfaltspflichten, die sich vor allem auf die weitestgehende Ausschaltung von Gefahrenquellen für den Vertragspartner (hier: der Gast/Tourist) beziehen. Es gehört zu den selbstverständlichen Pflichten eines Gastwirts bzw. Hoteliers, alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um Gästen die gefahrlose Benutzung seines Betriebes zu ermöglichen.[2] Nun stellt sich die Frage, wie weit diese zumutbaren Maßnahmen gehen, und (ab) wann ein Gastwirt in Zusammenhang mit Infektionskrankheiten gegen diese sogenannten „Verkehrssicherungspflichten“ verstößt.
Es wäre eine Überspannung von Verkehrssicherungspflichten (und auch aus persönlichkeitsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Gründen unzulässig), würde man fordern, dass ein Gastwirt, um jede Gefährdung der Gäste vor Infektionskrankheiten auszuschließen, ständig jeden Gast und Mitarbeiter auf das Vorliegen von Infektionskrankheiten testet, die für andere Gäste gefährlich werden könnten. Dies ist in der Praxis wohl ebenso wenig durchführbar, wie es nach dem anwendbaren Kenntnisstand Anfang/Mitte März 2020 geboten scheinen musste. Man wird Bar- und Restaurantbetreibern in der Frühphase der Covid-19-Pandemie zugestehen müssen, dass sie nicht wissen konnten, wenn einzelne Gäste (die sich oft nur kurz in ihrem Lokal aufhalten) oder Mitarbeiter (mit milden Symptomen) infiziert sind; insbesondere wird man den Tourismusbetrieben nicht ohne weiteres und im Allgemeinen eine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflichten zu einem Zeitpunkt vorwerfen können, zu dem Behörden noch keine konkreten Warnungen oder Handlungsanweisungen veröffentlicht hatten.
Andererseits wird man einem Gastwirt oder Hotelier, der zwar weiß (oder wissen musste), dass sich infizierte Gäste im Betrieb aufhalten, aber keine (unter Umständen auch von Behörden vorgeschlagene) Maßnahmen gegen eine Infektion anderer Gäste (und der Mitarbeiter) ergreift, eine Verletzung seiner Verkehrssicherungspflichten vorwerfen können. Es trifft Hoteliers und Gastwirte diesbezüglich ja auch eine Anzeigepflicht betreffend (auch nur Verdachtsfälle) von Corona-Erkrankungen bei ihren ArbeitnehmerInnen und von ihnen beherbergten Personen (§ 3 Abs 1 Z 7 Epidemiegesetz).
Unabhängig davon kommt auch eine Haftung eines Gastwirtes oder Hoteliers nach § 1311 ABGB wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes in Frage. Schutzgesetze sind in diesem Kontext nicht nur „Gesetze“ im klassischen Sinn, sondern auch individuelle hoheitliche Anordnungen. Verstößt der Gastwirt etwa gegen die behördliche Anordnung, seinen Betrieb zu schließen oder eine soeben erlassene Verordnung, etwa auf Basis des Covid-19-Maßnahmegesetzes, indem er seinen Betrieb offenhält und dadurch weitere Infektionen bei Gästen bewirkt, so käme auch diese Anspruchsgrundlage in Frage.[3]
Schwierig wird aber im Einzelfall der Beweis der Kausalität sein: nach allgemeinen Regeln müsste ein infizierter Gast, der gegen einen Hotelier oder Gastwirt einen Anspruch durchsetzen will, beweisen, dass er sich genau in diesem Betrieb und nicht in einem anderen Ort angesteckt hat. Bei einer Haftung wegen Übertretung eines Schutzgesetzes ist dieser Beweis aber wesentlich erleichtert, und gilt zu Gunsten des Klägers die Vermutung, dass die Pflichtverletzung, die in der Übertretung eines Schutzgesetzes liegt, für den eingetretenen Schaden kausal war. Diese Vermutung kann aber vom Beklagten auf Beweisebene widerlegt werden.
II. Amtshaftung
Auch denkbar erscheint die Haftung von Behörden (technisch ist hier von Körperschaften des öffentlichen Rechts die Rede) im Rahmen der Amtshaftung für unterlassene Maßnahmen zur Gefahrenabwehr in Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie.
Grundsätzlich haften Bund, Länger, Gemeinden und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Bestimmungen für Schäden, die - als ihre Organe handelnde - Personen einem Dritten in Vollziehung der Gesetze zugefügt haben. Auch ein Unterlassen durch ein Organ kann dabei einen Amtshaftungsanspruch begründen. Ein solches Unterlassen ist aber nur dann relevant, wenn für das Organ eine Handlungspflicht besteht, die Unterlassung also rechtswidrig ist, und wenn diese Unterlassung tatsächlich kausal für den eingetretenen Schaden war.[4]
Das Epidemiegesetz etwa sieht nun vor, dass bei einem Fall einer anzeigepflichtigen Krankheit (wozu seit Jänner 2020 auch das Coronavirus zählt[5]), oder einem Verdachtsfall einer solchen Krankheit (!) ohne Verzug die notwendigen Vorkehrungen zu treffen sind, wozu auch „Betriebsbeschränkungen und Schließungen“ (§ 20), „Maßnahmen gegen das Zusammenströmen größerer Menschenmengen“ (§ 15) und „Verkehrsbeschränkungen“ (§§ 24, 25) zählen.
Es ist denkbar, ein rechtswidriges Unterlassen von Behörden darin zu sehen, dass diese bei bekannten Verdachtsfällen von Covid-19 nicht gemäß der sich aus dem Epidemiegesetz ergebenden Verpflichtung ohne Verzug die notwendigen Vorkehrungen treffen. Ob dies hinsichtlich bestimmter Behörden tatsächlich der Fall ist, lässt sich nur im Einzelfall beurteilen. Im konkreten Fall ist die Frage zu stellen, welchen Zeitraum man einer Behörde zugestehen muss, um eine Situation zu prüfen und entsprechende Maßnahmen anzuordnen – schließlich geht es bei Betriebsschließungen und Verkehrsbeschränkungen um erhebliche Eingriffe in die Rechte der Betroffenen, die einer sorgfältigen Abwägung bedürfen, daher spricht auch das Epidemiegesetz davon, dass diese Maßnahmen „unbedingt erforderlich“ zu sein haben.
Der Geschädigte hätte nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Regeln zu beweisen, dass die Unterlassung einer gebotenen Handlung kausal für einen eingetretenen Schaden war, was ihm jedoch auch im Rahmen des Amtshaftungsrechts in vielen Fällen durch die Vermutung der Kausalität erleichtert wird, insofern als er nur die Gründe für die Wahrscheinlichkeit der Schadensverursachung glaubhaft machen muss.[6]
III. Fazit
Die Durchsetzung sowohl von Schadenersatzforderungen gegen die Inhaber einzelner Betriebe, in denen es zur Ansteckung mit Covid-19 gekommen ist, als auch gegen Behörden wegen der Unterlassung von gebotenen Maßnahmen ist rechtlich möglich – die konkreten Erfolgschancen sind aber nur im Einzelfall zu beurteilen.
Wir sind gerne dazu bereit, Sie bei der Lösung von Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Coronakrise zu unterstützen, und Ihnen bei der Durchsetzung von Ansprüchen zu helfen. Wir verfolgen dabei die Interessen unserer Klienten nicht im Rahmen von Massenverfahren oder sogenannten Sammelklagen, sondern ausschließlich im Rahmen individueller Beratung. Der Grund dafür ist, dass unserer Erfahrung nach jeder Fall – in allenfalls entscheidenden Details – anders gelagert ist. Jeder Anspruch bedarf einer gesonderten Prüfung, einer Prüfung, die wir bei der Durchsetzung vieler gleichartiger (aber eben nicht gleicher!) Ansprüche nicht durchführen können.
Bitte beachten Sie den Haftungsausschluss
[1] Vgl dazu etwa https://www.derstandard.de/story/2000116076613/tiroler-hoteliers-und-republik-muessen-sich-auf-klagen-vorbereiten.
[2] OGH 29.8.2013, 8 Ob 106/12i.
[3] Diese Anspruchsgrundlage birgt den Vorteil, dass die ständige Rechtsprechung keinen strengen Beweis des Kausalzusammenhangs fordert. Es spricht in diesen Fällen „der Beweis des ersten Anscheins“ dafür, dass der von der Norm zu verhindernde Schaden durch das verbotene Verhalten verursacht wurde. Es obliegt dann dem Beklagten, die Kausalität der Pflichtwidrigkeit - durch Außerkraftsetzung des ihn belastenden Anscheinsbeweises - ernstlich zweifelhaft zu machen, OGH 31.08.2010, 4 Ob 113/10m.
[4] Mader in Schwimann/Kodek (Hrsg), ABGB Praxiskommentar4 (2016) zu § 1 AHG Rz 43.
[5] Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020, BGBl II 2020/15.
[6] Mader in Schwimann/Kodek (Hrsg), ABGB Praxiskommentar4 (2016) zu § 1 AHG Rz 47 mwN.